Die Internationale Stiftung und der Nationalsozialismus
Eine Salzburger Kulturinstitution erforscht ihre Rolle im Nationalsozialismus: Die Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg hat sich unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb (Wien) und Priv.-Doz. Mag. Dr. Alexander Pinwinkler (Wien/Salzburg) in einem mehrjährigen Forschungsprojekt mit diesem schwierigen Teil ihrer Geschichte befasst. Dabei wurden mehr als 16.000 Seiten an Dokumenten aus eigenen und auswärtigen Beständen ausgewertet. Die Ergebnisse liegen nun in Buchform vor.
Eine Salzburger Kulturinstitution erforscht ihre Rolle im Nationalsozialismus: Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich wurde Albert Reitter, der Landesstatthalter von Salzburg, vom NS-Regime als Präsident der Internationalen Stiftung Mozarteum eingesetzt. Die Stiftung musste das Wort „International“ aus ihrem Namen streichen und wurde nach dem „Führerprinzip“ autoritär organisiert. Präsident Reitter wies der „Stiftung Mozarteum“ eine besondere Rolle in der NS-Kulturpolitik zu, die weit über Salzburg hinaus ausstrahlen sollte. Es gab Bemühungen, Mozart-Memorabilien für die Stiftung zu requirieren. Das Mozart-Gedenkjahr 1941 – mitten im Zweiten Weltkrieg – wurde genutzt, um Mozart als Heroen des „arischen Deutschtums“ umzudeuten.
Die Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg, die aus dem 1841 gegründeten Dommusikverein und Mozarteum hervorgegangen ist und sich seit 140 Jahren als die führende Kulturinstitution weltweiter Mozart-Pflege versteht, hat sich unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb und Priv.-Doz. Mag. Dr. Alexander Pinwinkler (Wien/Salzburg) in einem mehrjährigen Forschungsprojekt mit diesem schwierigen Teil ihrer Geschichte befasst. Dabei wurden mehr als 16.000 Seiten an Dokumenten aus eigenen und auswärtigen Beständen ausgewertet. Die Ergebnisse liegen nun in Buchform vor.
Der im März 2022 im Anton Pustet Verlag erschienene Band „Die Internationale Stiftung Mozarteum und der Nationalsozialismus. Politische Einflüsse auf Organisation, Mozart-Forschung, Museen und Bibliothek“ dokumentiert den NS-Wahn der „Machbarkeit“ und analysiert die Hintergründe des überdurchschnittlich angepassten Verhaltens führender Akteure und Mitarbeiter der Stiftung während des NS-Terrorregimes.
Zum Inhalt des Buches
Die Internationale Stiftung Mozarteum konnte auf eine ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition der Salzburger Mozart-Pflege zurückblicken, die mit ihrem Wirken immer eng verbunden war. Die Zeit des Nationalsozialismus der „Stiftung Mozarteum“, wie sie zwischen 1938 und 1945 hieß, erschien in bisherigen historischen Darstellungen als eine bloße, von außen aufoktroyierte Episode, die an einer kontinuierlichen Geschichte der Stiftung und ihren Verdiensten für die Mozart-Pflege kaum etwas verändert habe. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland im Jahr 1938 blieb es aber keineswegs dabei, dass die Stiftung „kommissarisch“ geführt wurde; auch wird der Mythos, dass ihre Geschäfte nach dem Zweiten Weltkrieg „bald wieder“ aufgenommen worden seien, dem schwierigen „Wiederbeginn“ der Stiftung in den Nachkriegsjahren nicht gerecht. Die Kontinuitäten und Brüche innerhalb der Stiftung in personellen, ideologischen und mentalen Fragen über die Zeitgrenzen 1938 und 1945 hinweg bilden einen höchst komplexen Forschungsgegenstand.
Nachdem die Nationalsozialisten am 12. März 1938 in Österreich die Macht übernommen hatten, war zunächst unklar, welche Auswirkungen der politische „Umbruch“ auf die künftige Gestaltung der Stiftung haben würde. Die Satzungen des Salzburger Bürgervereins wurden rasch nach dem „Führerprinzip“ umgestaltet, der antisemitische „Arierparagraph“ eingeführt und der Namenszusatz „Internationale“ eliminiert; der Mozarttag als das den Statuten nach entscheidende Gremium des Vereins „Internationale Stiftung Mozarteum“ wurde in seinen Befugnissen massiv begrenzt und das Kuratorium aufgelöst. Nach der Absetzung von Franz Schneiderhan, Präsident 1935–1938, übernahm der Salzburger Rechtsanwalt und nunmehrige NS-Landesstatthalter Dr. Albert Reitter auch das Präsidentenamt der Stiftung Mozarteum. Er selbst wurde noch im März 1945 durch Dr. Oskar Grazer ersetzt.
Als die Krise um „Anschluss“ und „Stilllegung“ der organisatorischen Tätigkeit von Vereinen und Verbänden überwunden war, erwies sich die „Stiftung Mozarteum“ als ein für die NS-Kulturpolitik geeignetes Instrument. Die Kulturinstitution und ihre von den NS-Machthabern eingesetzten Funktionsträger suchten auch selbst aktiv von den unter den Bedingungen des „Dritten Reiches“ gegebenen kulturpolitischen Verhältnissen zu profitieren. Maßgeblich für die Umsetzung dieser Pläne war Dr. Erich Valentin, der im Frühjahr 1939 aus München nach Salzburg geholt wurde und in der „Stiftung Mozarteum“ vorerst als Bibliothekar wirkte. Valentin war von Juni 1939 bis März 1944 als Generalsekretär für die Geschäftsführung und die wissenschaftlichen Aufgaben der Stiftung verantwortlich; er wurde 1944 durch Rudolf Schmidt-Oemler abgelöst.
Eine Schlüsselstellung nimmt das Mozart-Gedenkjahr 1941 ein: Auf Initiative Valentins gelang es, eine prestigeträchtige und vom „Führer“ Adolf Hitler finanziell großzügig ausgestattete Mozart-Gesamtausgabe in Salzburg zu installieren. Mit dem „Neuen Mozart-Jahrbuch“, das in diesem Jahr erstmals erschien, wurde ein Forum der Mozart-Forschung geschaffen. Eine wichtige Rolle kam hierbei dem Zentralinstitut für Mozart-Forschung zu, das ein Zusammenschluss von Mozart-Forschern aus dem In- und Ausland war. Das Zentralinstitut wurde auf Anregung von Erich Schenk bereits 1931 angedacht, aber erst ab 1936 schrittweise verwirklicht. Durch eine rege Beteiligung an Ausstellungen unter dem ehrenamtlichen Museumsleiter Otto Kunz wurde die „Stiftung Mozarteum“ weit über die Grenzen Salzburgs hinaus wahrgenommen. Die ambitionierten Forschungsaufgaben wurden aber insgesamt nur halbherzig und letztlich ohne nachhaltigen Erfolg umgesetzt. Dies ist nur teilweise den rapide schlechter werdenden Bedingungen für wissenschaftliche Arbeit während des Zweiten Weltkriegs zuzuschreiben.
(Bild: Albert Reitter beim Festakt zum 100 Jahr Jubiläum am Mozart-Denkmal, © ISM-Archiv)
Als höchst problematisch erweist sich die Rolle der führenden Funktionäre der Stiftung bei der Diskriminierung und Enteignung von Gegnern des Nationalsozialismus. Über das sogenannte „Mozartwerk“ engagierte sich die Stiftung aktiv in der deutschen Kulturpropaganda in den besetzten Gebieten. Der Bibliothek wurden die enteigneten Musiksammlungen der Klöster St. Peter und Michaelbeuern zur Verwaltung zugewiesen. Verschiedene Versuche Valentins, der Bibliothek mit staatlicher Hilfe zudem Mozart-Autographe aus privaten und öffentlichen Sammlungen einzuverleiben, wobei Valentin vor gezielten Denunziationen nicht zurückschreckte, sind dokumentiert; sie scheiterten aber letztlich in erster Linie daran, dass die Stiftung als privater Verein bei der Verteilung von Raubgut nicht berücksichtigt wurde.
Die Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg hat mit dem Sammelband „Die Internationale Stiftung Mozarteum und der Nationalsozialismus. Politische Einflüsse auf Organisation, Mozart-Forschung, Museen und Bibliothek“, hrsg. von Alexander Pinwinkler und Oliver Rathkolb (Salzburg: Anton Pustet, 2022) einen ersten Schritt zu einer kritischen, wissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit vorgelegt. Die einzelnen Studien des Bandes konzentrieren sich auf die NS-Zeit, sie beziehen aber die Jahre davor und danach jeweils mit ein. Dem Bedeutungszugewinn der „Stiftung Mozarteum“ im „Dritten Reich“, der wesentlich mit der politischen Propagierung Mozarts und seiner Musik als vorgeblich genuin „deutsch“ und „arisch“ einherging, stand nach 1945 der Versuch maßgeblicher Verantwortlicher der Stiftung gegenüber, die eigene Rolle in den Jahren vor 1945 möglichst kleinzureden. Tatsächlich waren aber die Politisierung der Führungsfiguren der Stiftung (namentlich Albert Reitters, Erich Valentins oder Oskar Grazers) sowie deren Verflechtung mit staatlichen Institutionen und Machtträgern gerade im „Dritten Reich“ stärker, als diese zuvor und wohl auch danach jemals waren.
(Foto: Ansprache von Gauleiter Gustav Adolf Scheel zum 150. Todestag von Mozart 1941, © ISM-Archiv)
Auch wenn mit diesem Sammelband wichtige Ergebnisse bereits fundiert dargestellt werden können, ist die Erforschung der NS-Zeit als Teil ihrer Geschichte für die Stiftung Mozarteum Salzburg keineswegs abgeschlossen. Wichtige Themen für die weitere Forschungsarbeit sind die politisch motivierte Rolle musikalischer Aufführungen sowie die Erforschung der internationalen Verflechtung der Aktivitäten während der NS-Zeit. Auch sind die Jahre vor und nach dem „Anschluss“ Österreichs genauer zu erforschen, um die notwendigen Kontexte herzustellen. Des Weiteren sind die Beziehungen und Abgrenzungen zur ehemaligen Musikschule des Mozarteum (ursprünglich Teil der Stiftung, später in staatlicher Trägerschaft und 1941 zur „Reichshochschule Mozarteum“ erhoben) genauer zu untersuchen.
Die Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg ist sich ihrer historischen Verantwortung bewusst: Präsidium, Kuratorium und Mozart-Tag haben bereits einstimmig beschlossen, für sich freiwillig die bundesgesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Restitution von geraubtem Kulturgut anzuwenden. So werden erst in jüngster Zeit durch intensive Nachforschungen entdeckte Bestände an die Erzabtei St. Peter zurückgestellt und auch mit der Katholischen Hochschulgemeinde als Rechtsnachfolgerin des in der NS-Zeit aufgelösten „Katholischen Hochschulvereins“ eine diesbezügliche Einigung erzielt. Die bereits begonnenen Provenienzforschungen mit dem Ziel einer Restitution unrechtmäßig eingegliederter Bestände werden aber konsequent fortgeführt.
(Foto: Mozarts Geburtszimmer mit dem Kranz von Erziehungsminister Bernhard Rust vom 14. Juni 1939. © ISM-Archiv)
Die nun vorliegenden Forschungsergebnisse haben für die Internationale Stiftung Mozarteum außerdem ein Thema virulent gemacht, dem sie sich nun speziell widmen wird. Es geht um die Ehrungen von Personen, die während der NS-Herrschaft wichtige Positionen innehatten und tief in nationalsozialistisches Denken und Handeln verstrickt waren. Die Stiftung wird nun einen Katalog an Kriterien erarbeiten, die für die Aberkennung von Ehrungen oder Auszeichnungen maßgeblich sein werden und danach die erforderlichen Beschlüsse fassen.
(Foto: Festrede von Erich Valentin beim 100-Jahr-Jubiläum des Mozart Denkmals am 4. September 1942. © ISM-Archiv)